Am letzten Montag hat an der Mittelschule, an der ich arbeite, die Arbeit in der sogenannten "neuen Normalität" nach der Sommerpause wieder begonnen. Wir stecken in einem wahrhaften Dilemma. Einerseits müssen Ansteckungen zwingend verhindert werden, um eine Überlastung der Spitäler zu verhindern. Andererseits hat sich gezeigt, dass der Fernunterricht während des Lockdowns speziell für die schwächeren Schülerinnen Schüler zu einem erheblichen Nachteil werden kann, da sie auf persönliche Kontakte und Betreuungen stark angewiesen sind. Es ging daher also darum, den Unterricht mit einem möglichst wirksamen Schutzkonzept diese Woche wieder aufzunehmen, um Infektionen zu vermeiden. Wie jedes Jahr trafen sich alle Lehrpersonen zum Schulstart am Morgen zur Eröffnungsansprache der Schulleitung. Am letzten Montag war jedoch alles anders und bei Weitem nicht normal. Die sonst überschwänglichen und herzlichen gegenseitigen Begrüssungen der Arbeitskolleginnen und Kollegen nach der langen Sommerpause vielen fast gänzlich weg. Mit einer Mischung aus Beklommenheit, Pragmatismus und Selbstironie trafen wir uns am Morgen ausgerüstet mit Atemschutzmasken zu einem ersten Treffen nach den Ferien. Das Bild, das wir bisher vor allem aus den Medien gekannt hatten, gaben wir nun plötzlich selber ab.
Gegen Mittag stehe ich dann zum ersten Mal seit längerer Zeit mit Schutzmaske wieder vor einer Schulklasse. Die Aussentemperatur beträgt bereits über 30 Grad am Schatten. Alle dampfen tapfer vor sich hin. Es ist trotz allem schön, sich wieder in echt zu treffen. Ein Klassenunterricht mit Masken ist mir immer noch lieber als Videochats, in denen man vorwiegend nur zu Icons sprechen kann. Am Nachmittag besprechen wir mit einigen Sängerinnen und Sängern des Schulchors, wie wir das Chorsingen weiter pflegen möchten. Die Schülerinnen und Schüler ziehen mit und versuchen, mit uns das Beste aus der Situation zu machen. Das Grossprojekt "Verdi-Requiem" im neuen Stadtcasino musste leider abgesagt werden. Ein derartiges Konzert mit den nötigen Schutzkonzepten sinnvoll vorzubereiten, ist zur Zeit schlicht unmöglich. Wir müssen rasch ein Alternativprogramm aus dem Boden stampfen. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind gefragt.
Am Abend treffe ich zum ersten Mal nach der Sommerpause wieder meinen Erwachsenenchor zu einer weiteren Pausenhofprobe. Mit gewissem Sicherheitsabstand aber ohne Masken gönnen wir uns zur Eröffnung noch einen schön angerichteten Apéro bevor wir mit rund vierzig Personen eine gute Probe im Freien gestalten können. Hier kommt zum ersten Mal so etwas wie eine sinnvolle "Neue Normalität" auf. Es tut allen gut, einen Moment lang einfach gemeinsam zu singen und dabei Corona etwas aus den Augen und Ohren zu verlieren. Die Maske ist in ihrer Wirkung umstritten. Als ich mir im Lehrerzimmer mit Maske einen Kaffee aus der Maschine rauslasse, steigt mir der Kaffeegeruch stark in die Nase. Wenn derartige Gerüche in meine Nase gelangen können, was findet dann alles sonst noch einen Weg durch meine Maske? Der beste Effekt des Maskentragens ist die Tatsache, dass man dabei dauernd an die dringend nötige Vorsicht im allgemeinen Verhalten erinnert wird. Dies hat heute unsere Schülerinnen und Schüler sicher von etlichen Begrüssungsküssen abgehalten.
In der neuen Normalität wiegen wir uns in einer scheinbaren wenn nicht gar falschen Sicherheit. Wir haben es wieder einmal nur vordergründig im Griff. Irgendwie ist wie vieles in Coronazeiten anormal Plötzlich normal geworden. Über ein Drittel der Ansteckungen, die bekannt sind, geschehen nachweislich zu Hause in der Familie. Die Schule wurde als Ansteckungsort bisher nur wenig genannt. Zuhause werde ich jedoch sicher keine Maske anziehen, solange alle gesund bleiben.
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