Der Roman «Unterleuten» ist aktuell gerade das letzte Buch, das ich gelesen habe. In einem fiktiven Dorf, das in der Ex-DDR liegt, kommt es zu einem grossen Konflikt zwischen dörflich orientierten Interessensgemeinschaften, als in der Gemeindeversammlung verkündet wird, dass auf Gemeindegebiet Windkraftwerke gebaut werden sollen. Auf sechshundert Seiten entwickelt sich eine Geschichte voller abstruser Situationen, die sich in Vergangenheit als auch in der Gegenwart abspielen. Juli Zeh entwickelt in ihrem Roman ein Bild, das überzeichnet und teilweise fast unwirklich erscheint.
Seit ich in Füllinsdorf lebe, bin auch ich stärker mit Fragen zum dörflichen Leben konfrontiert als früher. Immer wieder zeigt sich, dass auch bei uns im Dorf demokratische Entscheidungsprozesse schwierig sind; vor allem dann, wenn die Meinungen stark auseinandergehen und sich dabei verschiedene Interessensgruppen bilden.
Das erste Schulhaus wurde in Füllinsdorf zur Zeit der Industrialisierung gebaut. Man wollte damit die Lebensumstände der zugezogenen, arbeitenden Wohnbevölkerung verbessern. Nach dem zweiten Weltkrieg stieg die Anzahl Bewohnender derart stark an, dass im Tal ein zweites Schulhaus gebaut werden musste. Von diesem Moment an gingen Kinder aus Familien, die ihn Wohnblöcken lebten, tendenziell eher im Tal zur Schule. Im oberen, alten Dorfschulhaus wurden meist diejenigen Kinder eingeteilt, die eher in Einfamilienhäusern wohnten. Diese Situation führte immer wieder zu Diskussionen zu Chancengerechtigkeit und Integration, bis vor wenigen Jahren das obere Schulhaus neu der Unterstufe, das untere der gesamten Oberstufe der Primarschule zugeteilt wurde. Schon dieser Prozess war sehr umstritten. Als dann sogar die ganze Schule durch einen Neubau im unteren Dorfteil zentralisiert werden sollte, eskalierten die Konflikte völlig.
Es bildete sich eine Dorfpartei, die sich explizit für den Erhalt des oberen Dorfschulhauses aussprach und in einem intensiven Abstimmungskampf dies schliesslich auch durchsetzen konnte. Seit her sind die politischen Strukturen in Füllinsdorf arg ins Wanken geraten und die etablierten Parteien sehen sich mit einer neuen, unberechenbaren, dynamischen politischen Kraft konfrontiert. Die Geschichte hat mit der Stimmrechtsbeschwerde aus dem Umkreis der neuen Dorfpartei im Rahmen der Neuwahlen für das Gemeinderatspräsidium aktuell einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Ausgang der Wahl zum Präsidium ist ungewiss.
Das Buch von Juli Zeh endet damit, dass die alten Dynamiken neuen Strömungen Platz machen müssen. Die Windkraftwerke werden gebaut, aber nicht auf die Weise, wie es die alten Machthaber haben wollten. Einige soziale Strukturen zerbrechen an den dramatischen Ereignissen, andere raufen sich zusammen, um das Dorf gemeinsam in eine neue Zukunft zu führen. Gempen, Füllinsdorf, Unterleuten ist überall…
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