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Autorenbildjuergsiegrist

Benefizkonzert


Seit mehr als einem Monat ist in der Ukraine an vielen Orten nichts mehr so, wie es einmal war. Teilweise sind aktuell Bilder zu sehen, in denen Autokolonnen zwischen verbombten Gebäuden in einem vom Krieg geprägten fast surreal wirkenden Alltag durch Städte rollen. Noch nie wurde ein kriegerisches Ereignis medial derart stark verbreitet wie der aktuelle Konflikt in der Ukraine. Viele Kriegshandlungen können praktisch live via private Handyaufnahmen mitverfolgt werden. Diese verstörenden Bilder einzuordnen und wegzustecken ist oft schwierig und überfordernd. Das Elend der Menschen, die jäh aus ihrem zivilen Alltag herausgerissen worden sind, wirkt unerträglich und macht hilflos.

Bereits während den Fasnachtsferien ist das Anliegen an unseren Schulchor herangetragen worden, für die Ukraine ein grösseres Benefizkonzert zu veranstalten. Der Zufall wollte, dass schon vor längerer Zeit ein gemeinsamer Probetag mit dem Gymchor Liestal für die Aufführung des Verdirequiems geplant worden war, der am letzten Montag stattfinden sollte. Nach dieser Probe noch ein gemeinsames Konzert anzuhängen, war zumindest organisatorisch vom Aufwand her überschaubar und wir konnten die katholische Kirche Muttenz dafür gewinnen, uns an diesem Abend ihren Raum für das Konzert zur Verfügung zu stellen.

Ehrlich gesagt war ich vor dem Konzert eher etwas skeptisch. Wir hatten noch nicht viel Probezeit seit unserem Weihnachtskonzert investieren können und waren alles andere als in Konzertverfassung mit unserem neuen Programm. Zusätzlich hatten wir das Verdirequiem vorher noch nie gemeinsam mit Liestal geprobt. War es unter diesen Voraussetzungen wirklich angebrach, auf den Hype unzähliger Sammelaktionen aufzuspringen? Hat es nicht schon vorher unzählige Krisengebiete gegeben, denen man mit einem solchen Anlass unter besseren Voraussetzungen auch hätte helfen müssen?

Die Reaktionen in meinem Umfeld auf meine Zweifel waren recht unterschiedlich. Eine Kollegin sagte: «Weisst du, man kann eigentlich nicht zu wenig machen. Alles was hilft, in dieser schwierigen Situation Position zu beziehen, soll gemacht werden.» Diese Aussage hat mir durchaus eingeleuchtet und ich sagte meinen Kolleginnen und Kollegen der Chorleitung, dass ich bei Bedarf auch zur Verfügung stehen würde und notfalls die Probe meines Erwachsenenchors verschieben würde.

Kurzfristig studierten wir mit dem Kammerchor das europaweit bekannte Chorstück «Tebje pajom» von Dimitri Bortjanski ein. Er gilt als einer der wichtigsten Komponisten östlicher, geistlicher Vokalmusik. Sein Werk wurde später von Pjotr Tschaikowski in einer eigenen Sammlung aufbereitet. Geboren und aufgewachsen in der Ukraine ist Bortjanski später in Petersburg begraben worden. Wie schwierig die russisch-ukrainischen Verhältnisse teilweise sind, zeigt ein heutiger Medienbericht. Der ukrainische Botschafter hat eine Teilnahme an einem Benefizkonzert der Berliner Philharmoniker kurzfristig abgesagt. Das Programm sei mit Vertretern wie Tschaikowsky und Schostakowitsch zu Russisch ausgerichtet. Momentan versuche ich herauszufinden, ob Bortjanski sein «Tebje pojem» (oder doch pajom?) ursprünglich auf Ukrainisch oder Russisch niedergeschrieben hat; bisher ohne Erfolg. Da Bortjanski in der Ukraine geboren und in Petersburg begraben wurde, ist beides denk- und somit auch vertretbar. Die Diskussion entspricht der Realitàt: In der Ukraine wird seit Jahrhunderten Ukrainisch und Russisch gesprochen.

Ich habe selten ein Konzert gegeben, für das derart wenig Vorbereitungszeit zur Verfügung gestanden hat, wie für dieses Benefizkonzert. Das «Dies Irae» aus Verdis Requiem konnte mit dem ganzen Ensemble am Nachmittag gerade mal knappe zwanzig Minuten ein erstes Mal geprobt werden. Alle wussten, dass danach dieses Stück am Abend vor Publikum zur Aufführung gebracht würde. Absolut verrückt, wenn ich daran denke, wie viel Probenzeit im Laienbereich für ein derartiges Stück eigentlich normalerweise investiert werden müsste.

Auf Grund der knappen Zeit, war auch keine Vorprobe in der Kirche möglich und ich verspürte vor dem Anlass dann doch leichte Kopfschmerzen. Um 19.00 sind alle hingestanden und haben, so gut es eben ging, gemeinsam ein einstündiges Konzertprogramm zum Besten gegeben. Es war zwar nicht alles Perfekt aber trotzdem für alle ein intensives, positives Erlebnis. Besonders in Erinnerung werden mir die persönlichen und berührenden Worte einer ukrainischen Flüchtlingsfrau bleiben. Es machte das Unfassbare in gewisser Weise doch etwas fassbarer und ja, wir können und müssen etwas tun. Alles, was uns vom medialen Zuschauen wegbringt, und uns zwingt, Position zu beziehen, soll oder muss unternommen werden. Damit entstehen Wirksamkeit und Verantwortungsbewusstsein. Danke allen, die grosszügig gespendet haben. Wir stehen in Verantwortung; nicht nur der Ukraine gegenüber.



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