Vor rund einem Jahr habe ich einen Blog mit dem Titel "Es läuft so Einiges im 2020" veröffentlicht. Es sollte ein intensives Jahr mit einigen musikalischen Höhepunkten werden und begann sehr vielversprechend. Im Januar verbrachten wir noch ein schönes Chorlager mit wunderbarer Musik von Bach, Mozart und Verdi (Tage in der Sonne). Anschliessend fanden im Februar erfolgreiche Aufführungen des Musicals Rats im Roxy in Birsfelden statt. Unsere Kinder können sich bis heute an diese Produktion erinnern und der mittlere Sohn versucht seither regelmässig "Memories" am Klavier zu spielen. Dann wurde im März alles anders als geplant....
Von einem Tag auf den anderen waren wir mit einem "Lockdown" konfrontiert. Die Kinder und wir praktizierten Homeschooling. Die Erwachsenen sassen plötzlich stundenlang zu Hause vor Bildschirmen und versuchten so den Unterricht als Lehrpersonen irgendwie am Laufen zu halten. An gemeinsame musikalische Arbeit vor Ort war nicht mehr zu denken. Als dann die Fallzahlen sanken, konnten die Massnahmen glücklicherweise im Juni rasch wieder gelockert werden. Neue Pläne wurden für den Herbst geschmiedet. Es war mir bewusst, dass die Pandemie erst ihren Anfang genommen hatte, trotzdem war es wichtig, weiter zu planen, um eine konkrete Perspektive zu haben.
Einige Konzerte und Anlässe konnten anschliessend über den Sommer hinweg durchgeführt werden. Alle waren froh, wieder etwas näher an der Normalität dran zu sein. Dann kam im Oktober die zweite Welle; schnell und mit einer unglaublichen Wucht. Diesmal wurde nicht im Sinne eines landesweiten Lockdowns gehandelt, sondern selektiv Massnahmen ergriffen. Dies hatte für die Kulturszene und vor allem die Chorszene verheerende Auswirkungen. Sie wurden geradezu lahmgelegt und dämmern seither in einer Art Ohnmacht vor sich hin.
Mit dem "kulturellen Lockdown" wurde auch ein grosser Teil des öffentlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens abrupt abgebrochen. Es ist bis heute fast wie ein Schock, wie wenig der Kultursektor diesen krassen Einschränkungen entgegensetzen konnte. Wirtschaftliche Argumente wie sie in anderen Branchen vorgebracht wurden, zählten hier nicht. Das öffentliche Leben wurde in erster Linie auf dem Buckel kultureller Veranstaltungen und Anlässe eingeschränkt. Damit entzog man von heute auf morgen tausenden von Menschen ihre Existenzgrundlage.
Seither wird gesurft, geschoppt, Ski gefahren und teilweise immer noch in Restaurants gegessen; die öffentliche Kultur ist jedoch zum Schweigen verbannt worden. Trotz all dieser Einschränkungen bewegen sich seit diesem Herbst die Fallzahlen in Höhen wie nie zuvor. Die Statistiken zeigen es: Die Menschen sind mobil und sozial aktiv. Viele sind nicht bereit oder können schlicht nicht auf ihr soziales Netzwerk verzichten. So trifft man sich halt dort, wo es noch möglich ist, aber sicher nicht an Kulturanlässen. Die sind ja seit einiger Zeit im Nirgendwo verschwunden.
Welche Folgen wird dieses Kulturschweigen haben? Ab und zu hört man von einem sogenannten "Nachholbedarf", der nach der Pandemie eintreffen soll. Das mag sein, aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille. Kulturelle Wandlungsprozesse könnten mit der Pandemie beschleunigt werden. Kultur wird momentan gezwungenermassen teilweise wieder vermehrt vom Konsumgut zu einem menschlichen, privaten Betätigungsfeld. Man kann ja nicht immer nur in Bildschirme glotzen, shoppen und joggen. Die Pandemie zwingt uns, Kultur wieder vermehrt in den eigenen vier Wänden zu entwickeln und leben. Wenn ein Nachholbedürfnis entstehen sollte, dann wird es vermutlich eher auf diesem Boden wachsen. Wird die Welt nach der Pandemie eine sein, in der Kultur vermehrt wieder mit den Menschen und weniger konsumorientiert praktiziert wird? Das wäre doch durchaus eine interessante Perspektive...
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