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Autorenbildjuergsiegrist

Der Gymchor Muttenz reist nach Polen

Aktualisiert: 28. Sept.


Polen ist nicht unbedingt ein Reiseland, das in der Schweiz sehr bekannt ist. Auch ich bin bis vor kurzem nur selten in Polen gewesen. Ich kann mich jedoch noch an eine Konzertreise der Knabenkantorei an ein Festival in Posen im Jahre 1989 erinnern. Auf Grund der Situation während des kalten Krieges habe ich jedoch damals vom Land nur wenig mitgekriegt. Wir waren damals in einem Hotel untergebracht und wurden jeweils mit Bussen zu den Konzertorten und zum Flughafen gefahren. Die Einreisebedingungen waren recht streng und führten zu einem der aufwändigsten Stempel in meinem damaligen Reisepass. Ich vermute jedoch, dass ich vor 1989 schon einmal als Kind in Poznan an einem Knabenchorfestival gewesen bin.

Nun sind wir fünfunddreissig Jahre später mit dem Gymchor Muttenz wiederum nach Polen gereist und ich habe letzte Woche ein völlig anderes Polen erlebt, als ich aus meiner Jugendzeit in Erinnerung hatte.

Ausgangslage der Reise war der Umstand, dass Muttenz neu Partnerstadt von Šroda Wielkopolska geworden ist. Vor uns hatten schon diverse andere Austauschprojekte zwischen den beiden Städten stattgefunden. Wir waren jedoch Zeugen des ersten, größeren Jugendaustauschs, der zwischen den beiden Städten Muttenz und Šroda durchgeführt wurde.

Als ich mit meinem Kollegen, Christoph Huldi, im letzten Frühjahr auf Erkundungsreise in Šroda Wielkopolska war, zeigte sich, dass es gar nicht so einfach war, mit dem Zug von Basel nach Šroda zu kommen. Die Verbindung Basel-Berlin war stark verspätet, zusätzlich konnte der Zug in Polen nicht reserviert werden. Trotzdem wollten wir den Jugendlichen die einfache und günstige Reiseform mit Interrail schmackhaft machen und hatten schließlich entschlossen, bis Berlin doch den Zug zu nehmen und erst anschließend auf den Bus umzusteigen.

Heutzutage ist die Grenze zu Polen völlig offen und wir konnten daher mit dem Bus ohne Zollformalitäten einreisen, so dass man kaum bemerkte, dass man die Grenze längst passiert hatte. Ganz nach westlicher Manier fand unser Zwischenhalt in Polen auf einer Raststätte mit McDonalds-Restaurant statt. Mit etwas Verspätung trafen wir schließlich um ca. 23.00 in Šroda Wielkopolska ein, wo uns die Gastfamilien schon sehnlichst erwartet hatten.

Schon der erste Empfang an diesem Abend war für mich sehr eindrücklich. Nach dem wir als Begrüßung das Lied „Evening Rise“ gesungen hatten, kam es spontan zu ersten, herzlichen Begegnungen mit Umarmungen zwischen den jungen Menschen. Pro Familie war meistens nur eine Person unseres Chors untergebracht, was für unsere Leute, die meist kein Wort polnisch sprechen konnten, eine gewisse Herausforderung war. Es zeigte sich jedoch schon bald, dass die Gastfamilien enorm gastfreundlich und wohlwollend waren, und uns jeden Wunsch von den Lippen abzulesen versuchten.

Meist können Chorreisen nicht nach Plan durchgeführt werden, was die Flexibilität der Teilnehmenden immer wieder auf Probe stellen kann. So kam es, dass unsere polnischen Gastgeber mitteilen mussten, dass das Konzert auf Grund eines tragischen Todesfalls einer Schülerin nicht wie geplant in der Sporthalle stattfinden konnte. Stattdessen hätten sie neu geplant, den Anlass auf einer nahegelegenen Openair-Bühne durchzuführen. Mit dieser doch recht großen Änderung mit ungewissem Ausgang, kamen wir um ein Uhr morgens schließlich auch noch ins Bett.

Am nächsten Morgen hatten wir die Gelegenheit, den neuen Konzertort mit Hilfe eines Dienstwagens, den uns die Gastgeber über die ganze Zeit zur Verfügung gestellt hatten, zu besichtigen. Es zeigte sich bald, dass die Bühne in einem Park nahe einem See gelegen war. Das Ambiente des Orts war sehr schön und mit Hilfe der Überdachung entstand sogar etwas Nachhall. Unsere Gastgeber hatten keinen Aufwand gescheut und eine professionelle Firma mit der technischen Betreuung des Konzerts beauftragt. Das Konzert wurde sogar live in die Schweiz gestreamt.

Ein Tag später besuchten wir gemeinsam mit unseren Gastgebern verschiedene örtliche Mittelschulen. Eher ungewohnt für uns war die militärische Mittelschule, die wie ein Gymnasium als Schwerpunktfach belegt werden kann. Die Schüler müssen an gewissen Tagen im Kampfanzug erscheinen und werden in Selbstverteidigung und an Waffen ausgebildet. Neben der regulären, Gymnasialen Ausbildung werden die Jugendlichen teilweise auch für technische Berufe und Tätigkeiten im Gesundheitswesen vorbereitet. Šroda verfügt auch über ein eigenes Kino, ein neu eröffnetes Fußballstadion und ein Kulturhaus. Überall war eine gewisse Aufbruchstimmung spürbar.

Poznan liegt rund dreißig Kilometer von Šroda entfernt und ist die nächstgelegene, große Stadt. Mit etwas Glück konnten wir dort ein Konzert an einem Musikgymnasium organisieren. Die Schule ist auf musikalische Ausbildung spezialisiert und verfügt über einen gut ausgestatteten Musiksaal. Der Chor des Musikgymnasiums gestaltete einen stimmigen ersten Konzertteil und wir konnten unser Werk von Christopher Tin nochmals in guter Akustik zeigen.

Am letzten Tag unseres Austauschs fuhren wir mit einer historischen Eisenbahn zu einer Sporthalle, wo ein Fußballspiel Schweiz-Polen stattfand. Die Partie war geprägt von viel Spielfreude, Fairness und Dynamik. Sie endete knapp vier zu drei nach Verlängerung zu Gunsten der Schweizer Mannschaft.

Es waren tolle Tage in Polen. Alle Beteiligten nehmen intensive, reichhaltige Erlebnisse aus diesem Austausch mit, die sie ein Leben lang nicht vergessen werden. Offenheit, Interesse, Verwunderung und vielleicht die eine oder andere Irritation prägten unseren Reisealltag. Alle Beteiligten haben mit dieser Reise auch eine innere Reise, oder Entwicklung gemacht, die noch lange nachwirken wird.

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