Vor ein paar Monaten kam via Klapp (Infotool der Schule für Eltern) eine schockierende Meldung. Eltern hatten sich darüber beklagt, dass Kinder auf dem Pausenhof gegenseitig Morddrohungen aussprechen würden. Nach genauem Nachfragen hat sich dann herausgestellt, dass es dabei um eine Art unreflektiertes gegenseitiges Machtspiel einer ganzen Gruppe von Kindern ging, das vermutlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht thematisiert und angesprochen worden war. Da wir selber nicht vor Ort waren, konnten wir die Dynamik und das Ausmass des Geschehens nur schwer einschätzen. Die Schulsozialarbeit wurde eingeschaltet und nach einer gewissen Zeit schien sich die Situation wieder beruhigt zu haben.
Drohungen im Sinn von Machterprobungen gehören zum alltäglichen Spiel von Kindern dazu. Ich habe ehrlich gesagt damit als Kind auch Experimente gemacht und dabei auch ein paar Aktionen an den Tag gelegt, die mir heute eher peinlich sind. Im Großen und Ganzen würde ich mich im Nachhinein im Verhalten eher als gemässigt bezeichnen und es gab schon damals Kollegen (und es waren meistens männliche Vertreter), die ihr Machtspiel wesentlich weitergetrieben, manipuliert und Einzelne richtiggehend gepiesackt haben. Sehr oft habe ich in Mobbingsituationen auch so etwas wie Konsens in der Gruppe erlebt. «Der ist halt selber schuld!», wurde argumentiert. Wenn ich dann nachgefragt habe, was denn seine Schuld sei, kam meistens eine Antwort wie: «Der ist einfach doof, und das nervt.»
Persönlich bin ich mit meinem, sagen wir mal, gemässigt kooperativen Sozialverhalten in der Schulzeit recht gut gefahren. Ich konnte meine Linie gut halten, hatte meine sogenannten Peers und konnte gleichzeitig jederzeit ohne grosse Probleme klar Position beziehen, ohne zu riskieren gleich völlig ausgegrenzt zu werden. Wenn ich heute die Tischgespräche unserer Familie beobachte, kann ich mich jedoch der Vermutung nicht entziehen, dass sich die soziale Situation an der Schule in den letzten Jahren wesentlich geändert hat. Innere Regulationsprozesse «He, das darfst du nicht» oder «Hör auf, das ist gemein» werden schlicht überhaupt nicht mehr akzeptiert und es sind nach meiner Beobachtung tendenziell eher wieder die männlichen Spezies, die sich teilweise schon sehr früh unglaublich viele Respektlosigkeiten herausnehmen. Wie soll sich da ein selbstbewusstes Mädchen wehren, oder liege ich etwa mit meinen Wahrnehmungen gar völlig falsch?
Für mich steht dabei klar im Vordergrund, dass wir Eltern, als erwachsene Menschen zum Wohle der Gesellschaft, klar Position beziehen müssen. Ich möchte nicht, dass unsere Kinder auf dem Pausenplatz schlimmste Drohungen aussprechen und gleichzeitig sollen sie auch nicht unter Drohungen leiden müssen. Klar sollen auch sie ihren Einfluss erproben und möglichst selbstbewusst ihren Platz in einer Gruppe finden können. Das muss jedoch möglichst transparent zum Wohle aller in einem klar abgegrenzten Spielraum stattfinden können.
Nun sind die Haltungen Drohungen gegenüber sehr unterschiedlich. Die sozialen Netzwerke machen es möglich, dass man anonym quasi jeder Person im Netz das Übelste androhen kann, ohne dass dabei wesentliche Folgen zu erwarten sind. Diese Haltung scheint sich gemäss meiner Beobachtung auch in den Alltag zu übertragen. «Du bist bedroht worden? Nicht so schlimm, der meint das sowieso nicht so…» Das unangenehme daran jedoch ist, dass heute Drohungen praktisch in jeder Lebenssituation auftauchen und von irgendwoher auftreten können.
Vor ungefähr zwei Jahren reiste ich mit dem Zug von Winterthur nach Basel, als mir, nachdem ich mich eine Zeit lang auf einen freien Platz gesetzt hatte, ein älterer, mir unbekannter Sitznachbar grinsend sein Handy entgegenstreckte. Auf dem Bildschirm stand in etwa: «I am your suicide assassin.» Im ersten Moment war ich nur perplex. Danach nahm ich meinen Koffer und suchte mir einen Platz in einem anderen Wagen.
Das grinsende Gesicht des Drohers ist mir in bleibender Erinnerung geblieben. Quasi eine lieb gemeinte Todesdrohung? Ein blöder Scherz? Es ging damals vermutlich nur darum, mich zu verängstigen und zu verscheuchen. So gesehen hat der Droher sein Ziel erreicht und die Situation hat mir gezeigt, wie schamlos Drohungen zum Selbstzweck eingesetzt werden können.
Wenn ich jetzt zurück auf den Pausenplatz blicke, wird mir etwas schummrig dabei. Drohungen sind in unserem Leben alltäglich geworden und haben sich zu einem Mittel entwickelt, Aufmerksamkeit zu erlangen und eigene Interessen schamlos durchzusetzen. Dies führt zu einer Verrohung im gegenseitigen Umgang und lässt uns gegenüber effektiven Gefährdungssituationen abstumpfen. Bleibt zu hoffen, dass es in allen Fällen bei Worten bleibt und diese Schall und Rauch bleiben. Doch wer kann das schon mit Sicherheit sagen? Es bleibt nur eines: Aktiv werden und Grenzüberschreitungen in Form unangebrachter Drohungen zum Wohle aller konsequent thematisieren und die angesprochenen Problematiken aufzeigen.
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