Eine Familie zu gründen ist rein biologisch gesehen nicht so eine grosse Kunst und eine der natürlichsten Sachen der Welt. In einer Familie zu leben, ein Teil davon als Persönlichkeit mit ihrem eigenen Anteil und Platz zu sein ist da schon eher höhere Kunst. In der heutigen Sonntagspresse schreibt Magrit Stamm einmal mehr über das überforderte Elternhaus. In vermutlich keiner Zeit hat man sich zum Elterndasein und seinem Einfluss auf die Kinder derart viele Fragen gestellt wie in unserer. Gleichzeitig haben wir eine grosse Freiheit und Unabhängigkeit darin erlangt, wie wir unser familiäres Zusammenleben gestalten.
Kürzlich habe ich an einem kulturellen Anlass eine ältere Mutter dreier Töchter getroffen. Ich kenne die Familie schon seit längerem und mir ist immer schon aufgefallen, dass alle drei Töchter Musikerinnen geworden sind. Nicht dass ich mir das unbedingt für meine Kinder wünsche; ich finde es aber spannend zu beobachten, dass in gewissen familiären Konstellationen musikalische Anlagen ausgeprägter ausgelebt werden können als in anderen. Ein Musiker hat sich vor einiger Zeit in einem Interview sogar zum Satz hinreissen lassen: "Wenn jemand aus keiner Musikerfamilie kommt, hat er wenig Chance ein erfolgreicher Musiker zu werden." Eine recht kühne Behauptung, die viele Fragen aufwirft.
Zweifellos spielen die biografischen Elemente einer Familienkultur eine grosse Rolle, in welche Richtung Kinder sich entwickeln. Roger Federer wäre ohne seine Familienkultur nicht zum Tennisstar geworden und die Blocherkinder nicht zu Unternehmerinnen und Unternehmern. "Ich bin ja so froh, dass meine Eltern mich lernten, die Geige zu spielen," sagte mir jüngst ein erfolgreicher Violonist. Doch genau in diesem Satz steckt unser Dilemma. Was sollen wir unsern Kindern mitgeben, welche Anforderungen unterstützen ihre Entwicklung und wo ist es auf der anderen Seite sinnvoll loszulassen, um eigenen Entwicklungen Raum zu geben?
Die Mutter der erwähnten drei MusikerInnen erzählte mir, dass vermutlich ihre Präsenz zu Hause, einen gewissen Einfluss auf die musikalische Entwicklung ihrer Kinder gehabt habe. Bis in die Pubertät sei sie es gewesen, die die Kinder in ihrer musikalischen Entwicklung begleitet und unterstützt hat. Interessanterweise sei genau diese intensive Begleitung bei den eigenen Kindern, die mittlerweiles auch Eltern sind, nicht mehr möglich, da sie beruflich stark eingespannt seien. Die Folge davon sei, dass bei den Grosskindern trotz offenkundiger Begabung , musikalische Neigungen weniger stark ausgelebt und vermutlich nicht mehr professionell ausgelebt würden. Tatsächlich ist es in unsere heutigen Gesellschaft vermutlich schwieriger geworden, musikalische Neigungen intensiv auszuleben. Die Ansprüche an schulische Leistungen, an das oft beidseitig arbeitstätige Elternhaus und intensive Freizeitprogramme führen dazu, dass eine derart intensives Hobby unter normalen Umständen fast keinen Platz mehr findet.
In meinem Fall hat sicher auch die Mutter meine musikalischen Neigungen gefördert. Zusätzlich hat mir die Musik jedoch auch die Möglichkeit gegeben, einen völlig eigenen, unabhängigen Weg einzuschlagen. Um einen elitären Anspruch ging es bei uns zuhause interessanterweise eigentlich nie sondern viel mehr um das Ausleben persönlicher Neigungen. Eine Kollegin sagte denn auch kürzlich zu mir: "Wenn du Musik machst, wirst du zu einem anderen Menschen." Eine interessante Beobachtung und es stimmt sicher ein Stück weit, dass ich in der Musik Seiten von mir ausleben kann, die sonst im Alltag häufig nicht so im Vordergrund stehen.
Die Familie ist ein wichtiger Boden für Kunst und Kultur. Sie prägt uns über Generationen hinweg und bestimmt mit, wie wir unser Leben künstlerisch und kulturell gestalten. Es gibt sie nicht "die Familie ohne Kunst". Aber jede Familie hat in ihrer kulturellen und künstlerischen Ausprägungen eine eigene Geschichte im Wechselspiel zwischen Widerstand und Assimilation unter den Generationen.
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