In der Schweiz und in Europa ist es seit Tagen drückend heiss. Die Ergolz führt einmal mehr bedrohlich wenig Wasser. Wissenschaftler debattieren öffentlich darüber, ob in Zukunft der Rhein einmal austrocknen könnte und der niederschlagsarme Winter führt zu eher knappen Pegelständen in den Stauseen, die doch auf Grund der drohenden Energieknappheit langsam eigentlich voll sein sollten. Gleichzeitig belächeln autokratische Herrscher die ihrer Meinung nach unhaltbare Dekadenz des liberalen Westens und lassen seit Wochen erbarmungslos tödliche Geschosse auf die Ukraine knallen.
Nun ist der Sommer auch eine schöne Zeit, in der Abends draussen zusammengesessen werden kann und die Tage lang und warm sind. Unzählige Sommerhits zeugen von diesem Lebensgefühl, über Mango Jerry bis DJ Bobo wurden Millionen damit verdient und medial breit gewalzt. Wie entstehen heutzutage Sommerhits? Natürlich, wie könnte es anders sein, vorwiegend über die Verbreitung via Social Media und häufig erst noch gratis. Das ganz grosse Geld lässt sich vermutlich damit nicht mehr machen.
Somit muss es heute besonders schnell und möglichst billig gehen. Davon zeugt der aktuelle Sommerhit «Layla», der vor allem mit seinem provokativen Text Furore macht. Erstaunlich, dass das immer noch funktioniert und der Song aktuell in den Schweizer Charts auf dem ersten Platz steht. Ich sehe vor meinem inneren Auge massenweise Jugendliche oder gern jung gebliebene vorab des männlichen Geschlechts zugedröhnt zu «Layla» abtanzen….sooo geeeeil…und eigentlich meist harmlos, wenn es nicht noch ein Kapitel mehr zum Themenkreis «musikkulturelle Tiefflüge» wäre.
Wenn man nämlich die Melodie die Akkorde etwas näher betrachtet ist der Sommerhit «Layla» nichts anderes als Fake. Gefälliger Beat, provokativer Ballermantext und dazu ein abgekupfertes musikalisches Konzept vom Lied «Lai-la», das schon seit x Jahren in der Chor- und Schulmusikszene als Zigeunerlied rumgeistert. Nichts neues also aber möglichst populär und frech auf den Geschmack der breiten Masse ausgerichtet. Es scheint zu funktionieren.
Kürzlich konnte man lesen, dass das neue Lied zum Eidgenössischen Schwingfest 2022 herausgekommen sei. Gesungen von Francine Jordi und versetzt mit Alphornklängen und Jodel dürfte sich vermutlich auch dieses Lied eher in die Serie der «populären Eintagsfliegen» einreihen. Vom Lied der Eröffnungsfeier in Zug, die legendär gewesen sein soll, war in den letzten Jahren auch nicht mehr viel zu hören. In der BZ hat übrigens Michael Ecklin diesen Mittwoch ähnliche kulturpolitische Fragen zum Schwingfest aufgeworfen.
Wie ländlich ist denn Pratteln heute noch? Was soll davon am Schwingfest gezeigt werden? Wie kann Tradition innovativ neu entdeckt und gelebt werden? Wie gehen wir mit gesellschaftlichen Veränderungen und Dynamiken um, die gerade in Agglomerationsgemeinden wie Pratteln stark spürbar sind, und mit «Landschaftsidyllen» nicht mehr viel zu tun haben?
Grundsätzlich haben wir es bei beiden Phänomenen (Layla und Schwingfest) mit ähnlichen Dynamiken zu tun. Die prestigeträchtigen Projekte sollen oder müssen gar um jeden Preis ein Erfolg werden und damit das gelingt, wird derart stark auf konventionelle und bewährte Modelle gesetzt, dass viele Möglichkeiten der Differenzierung und eigentlich wichtige Diskussionen zu Gunsten eines plumpen, generellen «Wohlfühlfeelings» gar keinen Platz mehr haben.
Immerhin finden am Schwingfest teilweise doch auch Gesprächsforen zu genau diesen Themen statt. Am reichhaltigsten und vielversprechendsten ist das Programm, das auf dem Festgelände im Eventdorf der Gemeinde Pratteln stattfinden wird. Dort präsentiert sich ein offenes Pratteln; selbstbewusst und innovativ. Ein Glücksfall für die Veranstalter? Interessanterweise wird leider auf der Homepage des Schwingfests dieses doch sehr innovative Konzept bisher mit keinem Wort erwähnt. Warum wohl? Für Interessierte hier der Link zum Programm:
Wenn Mann (sic!) also so will, ist das Programm des «nationalen Schwingfests» zumindest nach aussen gesehen grösstenteils «Ballermann» mit einigen vielversprechenden Events.
Das Gelände liegt praktisch in sichtnähe und somit werde ich im August in aller Ruhe auch mal etwas Schwingfestluft oder besser Eventdorfluft schnuppern; jedoch ohne Ticket für das Stadion, das kann man nur noch als Sponsor für tausende von Franken erwerben. Aber wer weiss, vielleicht werde ich ja dann eines Besseren belehrt und erlebe dann doch noch so etwas wie «ein Fest für alle mit Schwung und Herz». Vermutlich jedoch eher ein «Pratteler Fest» als ein «Eidgenössisches Schwingfest». Für das zweite reicht mir eine kurze Zusammenfassung am Schweizer Fernsehen.
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