Wenn Stimmen sich singend abstimmen
- juergsiegrist
- vor 5 Stunden
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Über die Wirkung von Gruppengesang und die Verantwortung jeder Stimme – gerade an einem Wahlwochenende
An diesem Wochenende geben wir, wenn überhaupt, unsere Stimmen ab. Ein seltsamer Ausdruck, wenn man darüber nachdenkt:
Wir geben sie ab, um gehört zu werden. Um Teil eines grösseren Ganzen zu sein. Um mitbestimmen zu können.
Vielleicht ist das gar nicht so anders als im Chor. Wenn Stimmen sich singend abstimmen, entsteht etwas, das keiner allein hervorbringen könnte. Klang wächst aus Vielfalt – aus leisen, hellen, dunklen, mutigen, zögerlichen Stimmen. Es braucht sie alle.
Wie in einer Demokratie, die nur funktioniert, wenn viele unterschiedliche Menschen frei mitstimmen, mitatmen und mitdenken können.
Vom Wahlrecht zur Stimme
Singen und Wählen haben etwas gemeinsam: Beide beginnen mit der Entscheidung, die eigene Stimme zu erheben. Und beide verlangen Zuhören. Im Chor reicht es nicht, einfach laut zu sein – man muss auf die anderen achten, auf den gemeinsamen Ton.
So ist es auch im politischen Raum: Demokratie lebt nicht vom Überstimmen, sondern vom Abstimmen. Vom Versuch, Verschiedenheit klingen zu lassen, ohne sie zu ersticken.
Resonanz statt Rechthaben
Musik lehrt, was Diskurse oft vergessen: Resonanz ist kein Konsens, sondern Beziehung. Sie entsteht, wenn Unterschiedliches in Beziehung tritt. Ein Chor funktioniert nicht, weil alle gleich klingen – sondern weil sie sich gegenseitig tragen, ergänzen, fordern.
Vielleicht sollten wir auch in der Politik wieder öfter zuhören, um gemeinsam zu schwingen, statt gegeneinander zu dröhnen. Manchmal bedeutet das, einfach mitzuschwingen, auch wenn wir anderer Meinung sind, und anzuerkennen, dass die Entscheidung im Kern gar nicht so schlecht ist. Zusätzlich haben wir das Privileg, in einem Land zu leben, das auch den Stimmen von Minderheiten Gehör schenkt und sie in politische Entscheidungen einbezieht.
Körperliche Demokratie
Wer gemeinsam singt, erlebt, wie sich Körper und Atem angleichen. Man stimmt sich ab – im wahrsten Sinne des Wortes.
Das ist mehr als Metapher: Es ist gelebte Verbundenheit. Im Wahlprozess, in dem viele Stimmen um Aufmerksamkeit ringen, erinnert uns der Gesang daran, dass Stimme auch etwas Körperliches sein kann. Etwas, das klingt, wenn man es wirklich,echt, real und ernst meint.
Nachklang
Vielleicht sollten wir an Wahlwochenenden oder generell öfter singen. Nicht, um uns gegenseitig zu überzeugen, sondern um uns daran zu erinnern, wie Verbindung klingt. Wie es ist, wenn man die eigene Stimme erhebt – nicht gegen, sondern mit anderen.
Denn ob in Musik oder Politik:
Nur wenn Stimmen sich gemeinsam abstimmen, entsteht etwas, das trägt und uns wirklich weiterbringt.



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